Gedanken zur Zeit II

EU – wozu?

Um es vorwegzunehmen: wir haben nicht auf den Besuch des Diktators Orban gewartet, um öffentlich kundzutun, was aus fortschrittlicher – will heissen aus sozialer, ökologischer und ökonomischer – Sicht gegen die Europäische Union EU und den Beitritt der Schweiz zu dieser Organisation zu bemerken ist. Im Gegenteil, das eigene Ringen für oder gegen einen Anschluss an die EU ist lange vor die legale Machtergreifung des ebenso faschistischen wie korrupten Ungarn zu datieren. Auf den November des Mauerfalls, um genauer zu sein. Auf den Tag, als Europa die historisch einmalige Chance für eine Gemeinschaft des Friedens und Wohlergehens (gemeint sind die Abwesenheit von Krieg und Wachstumswahn) nach 45 Jahren Kriegsabwesenheit auf europäischem Boden zu verspielen begann.

Das gescheiterte Friedensprojekt EU

Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, wenn man im Rückblick feststellen muss, dass das Friedensprojekt EU nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion – kurz nach dem Mauerfall – nicht nur durch eine forcierte Osterweiterung, sondern vor allem mit einem neuen Krieg gestartet wurde. Die von der NATO unter erheblicher Mitverantwortung des grünen deutschen Aussenministers Joschka Fischer völkerrechtswidrig ausgelösten Balkankriege sollten das EU-Projekt nicht nur als Vasallen-Projekt der USA, sondern – vor allem – als Jagd nach der Siegestrophäe des Westens entlarven. Und heute ist es wieder ein deutscher Aussenminister, dessen Rolle diesmal von einer grünen Frau besetzt ist, der sich an vorderster Front für ein verlängertes Abschlachten auf europäischem Boden stark macht. Wieder im Interesse der USA, die sich natürlich nie selbst die Finger schmutzig machen, sondern ihren Kettenhund, die NATO, vorschicken. In der früheren deutschen Friedenspartei hat sich das Bekenntnis zu „Frieden schaffen ohne Waffen“ inzwischen vollständig aus der politischen DNA verabschiedet und wird durch „Machterhalt“ ersetzt. Dabei müsste sich, wenn nicht aus der nationalen deutschen, so doch mindestens aus der europäischen Interessenlage die Einsicht breit gemacht haben, dass der Krieg in der Ukraine weder von der korrupten Truppe um den nicht mehr komischen Selensky herum zu gewinnen, noch vom ebenso unkomischen Russen Putin zu verlieren ist - um es für einmal auf die medial-dämliche Personalfrage zu reduzieren.

Vor dem zweiten Kriegswinter im Donbass dürfte es für verantwortungsvolle Politiker in der EU keine Rolle mehr spielen, wer für den Kriegsausbruch verantwortlich ist, sondern nur noch, wie Europa und damit die EU den kürzesten Weg zu Friedensverhandlungen eröffnen können. Davon ist weit und breit nichts zu sehen. In Deutschland nicht, wo eine zur Nato-Drohne umfunktionierte Aussenministerin Kriegsministerin spielt, in Brüssel nicht, wo die deutsche, ehemalige Kriegsministerin und in Deutschland als „Flinten-Uschi“ bezeichnete, erzchristliche Kommissionspräsidentin die Befehle aus Washington pflichtgetreu erfüllt und den Krieg mit Waffen von Rheinmetall weiter anheizt.

Doch der Krieg in der Ukraine, an dem sich jetzt auch die Schweiz beteiligt, indem man Leopard-Panzer an Deutschland liefert, das dafür eigene Panzerlieferungen an die Ukraine ersetzt, ist nicht der entscheidende Grund, weshalb ein Beitritt zur EU keine Option für die Schweiz ist. Höchstens ein aktueller Anlass, um über die Neutralität der Schweiz nachzudenken. Was man in Bern geflissentlich verweigert, weil das Thema von der Herrliberger Bewegung besetzt wurde und man – wie immer – denen nicht noch mehr Munition liefern möchte. Genauso, wie man es doch so erfolgreich mit den Themen Migration, Flucht, Bevölkerungszunahme, Islam, Pandemie, EU usw. gehalten hat: Man verweigert die Anerkennung des Problems bis es zu spät für dauerhafte Lösungen ist und die Herrliberger Bewegung schamlos den plebiszitären Bonus einstreicht – für eine Themenbewirtschaftung, die keine Spur einer Lösung anbietet, weil es eben nur um die Bewirtschaftung an sich geht.

Das Projekt EU ist nicht nur krachend als Friedensprojekt gescheitert, sie ist auch im Kerngeschäft, der Wirtschaft, auf dem absteigenden Ast. Seit der forcierten Osterweiterung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben sich zwar die ehemaligen Waschau-Pakt-Staaten von Russland abgelöst, um wirtschaftlichen Aufschwung durch die EU-Mitgliedschaft zu erhoffen und militärischen Schutz durch die NATO, aber in beiden Fällen wurden die Erwartungen enttäuscht. Die Abhängigkeit von der früheren Sowjetunion wurde nun durch eine totale Unterwerfung unter die von den Grosskonzernen diktierten EU-Regeln eingetauscht und der militärische Schutz verwandelte sich in einen Aufmarschraum für NATO-Truppen und in Abschussrampen für nach Russland ausgerichtete Mittelstreckenraketen. Die Souveränität über die eigene Währung wurde an den Euro abgegeben, so wie die eigenen Zentralbanken in der Europäischen Zentralbank aufgegangen sind. Letztere wiederum wacht vor allem darüber, dass die Interessen der privaten Grossbanken Europas gesichert sind, um zu verhindern, dass die wegen der in den „neuen“ Ländern zwecks Investitionsstützung verursachten Schuldenberge nicht plötzlich als Klumpenrisiko das ganze Finanzsystem der EU in den Abgrund reissen. Der Fall Griechenland spricht dafür Bände. Wer‘s nicht glaubt, sollte sich vielleicht doch bei Yanis Varoufakis bedienen (Die ganze Geschichte, Kunstmann), nur schon, um beim nächsten Schuldencrash (Italien? Frankreich? Spanien?) nicht eingestehen zu müssen, man hätte von nichts gewusst.

Eine EU der Konzerne und Banken

Aufgrund der unterschiedlichen Wirtschaftskraft bleiben die südlichen Länder, insbesondere im Südosten auf immer das Armenhaus der EU, das von den reichen Schwestern im Norden über Wasser gehalten, sprich subventioniert wird. Wie gesagt, für immer. Denn die wirtschaftlichen Zugpferde in Deutschland und Frankreich haben gar kein Interesse an einer Konkurrenz auf Augenhöhe. Da ist es bequemer, die minderen Verwandten durch Schulden am Gängelband zu halten und so die eigenen Exportmärkte durch deren Überschuldung zu schützen. Wer‘s nicht glaubt, sollte sich die Mühe machen und sich einmal über die Assoziierungsverträge erkundigen, die den Beitrittskandidaten praktisch ohne Verhandlungsmarge vorgelegt werden, wie etwa jenen für die Ukraine, der 2014 in letzter Minute vom früheren Präsidenten zurückgewiesen wurde. Denn wer, wie Deutschland, über Jahrzehnte anständige Handelsüberschüsse erwirtschaftet (wobei diese EU-Rendite vor allem Deutschlands Westen zugute kommt), produziert andernorts entsprechend unanständige Handelsdefizite.

Und jetzt sollen auch noch die zerstörte und darüber hinaus hoch verschuldete Ukraine, die wirtschaftlich schwachen Albanien, Nordmazedonien, Moldau, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Georgien, Serbien und sogar der hyperkorrupte Kosovo von potenziellen Beitrittskandidaten zu Mitgliedern avancieren? Nicht zu vergessen die Türkei, die zwar ein wirtschaftliches Schwergewicht sein mag, aber politisch genau so instabil ist wie die vorher genannten.

Natur bleibt auf der Strecke

Die EU ist nicht nur zur Chasse gardée der Grosskonzerne und Grossbanken verkommen, wo zehntausende Beamte in Brüssel gegen grosszügiges Entgelt Heger und Pfleger spielen dürfen. Die EU ist auch zu einer gigantischen Vernichtungsmaschine für die Artenvielfalt und die humane Gesundheit geworden. Nicht nur wurde unlängst der krebsverdächtige so genannte Unkrautvernichter Glyphosat gegen jeden wissenschaftlichen Rat weiter zugelassen, auch die Intensivlandwirtschaft inkl. Massentierhaltung werden auf dem Buckel von Natur und Mensch mit Milliarden gefördert. Von wegen Bio! Dafür werden Form und Gewicht von Karotten und Bananen genormt – um die mechanisierten Verarbeitungs- und Verteilketten nicht zu stören. Die Lobbyisten von BASF, Bayer, Syngenta und Co. haben ein weites Feld vor und für sich. Die paar Millionen an Bussen für unrechtmässig angewandte Düngemittel, Unkrautvernichter oder genetisch manipuliertes Saatgut zahlt man dabei locker aus der Portokasse und zum Gaudi einer diesbezüglich gleich geschalteten Presse. Und ganz nebenbei sei erwähnt, dass die Renditeerwartungen dieser Konzerne und Banken die Einkommen von arbeitenden Menschen bestimmen und nicht umgekehrt. Gewerkschaften sind in der neoliberalen EU höchstens als unterhaltende Beifahrer im Seitenwagen geduldet.

Afrika liegt vor der Türe Europas

Geradezu absurd gestaltet sich das Verhältnis der EU zu ihren „Partnerländern“ im Süden, sprich in Afrika. Zwar hätten die ehemaligen Kolonialmächte wie Frankreich, Deutschland oder Belgien (Grossbritannien fährt ja bekanntlich jetzt ein eigenes Züglein), allen Grund, mit den ehemaligen Kolonien endlich zu einer fairen Zusammenarbeit zu kommen. Und wenn es auch nur darum ginge, die Fluchtbewegung dank des Aufbaus einer verarbeitenden Industrie, besseren Bildungssystemen, sozialer Absicherung usw. zu dämpfen und langfristig sogar zu stoppen. Das ist natürlich nicht der Fall. Afrika wird nach wie vor als Rohstofflieferant behandelt und die Verhandlungspartner sind in aller Regel hochkorrupte und gewalttätige Regimes, die von den ausgehandelten Konzessionsgeldern neunzig Prozent auf die Bankkonten in der EU zurückschieben oder auf die – ebenfalls von EU-Staaten gehaltenen – Inseln in der Karibik und im Kanal mit ihren Offshore-Banken. Die durch den Auftritt Chinas und seines forcierten Ressourcenabbaus beschleunigte Ausbeutung Schwarzafrikas wird zu einer kolossalen Flutwelle nach Europa führen. Nichts hält diese Abermillionen Menschen, die schon auf gepackten Koffern sitzen, davon ab. Heute sind es irgendwo zwischen 1,2 und 1,5, in zwanzig Jahren wird Afrika 2,5 Milliarden Menschen zählen. Und dabei haben wir noch gar nicht von den Folgen der Klimakatastrophe gesprochen. Die EU hat versagt, als es in den 90er Jahren, nach dem Wegfall der bipolaren Spannungen für eine kurze Zeit ein Machtvakuum gegeben hat und ein echter Entwicklungsschub für Afrika möglich gewesen wäre. Stattdessen hat man sich in Brüssel von den damals noch zwei Kolonialmächten vorführen lassen und das koloniale Strickmuster der Ausbeutung einfach weiter gestrickt. Das Versagen der EU geht weiter.

Zentralismus und Demokratie sind unvereinbar

Der Koloss mit 450 Millionen Menschen lässt sich nicht basisdemokratisch handhaben, auch wenn die wichtigen Beschlüsse in einer anachronistischen Übereinstimmung aller Mitglieder(regierungen) beschlossen werden müssen. Aber selbst eine wie auch immer gestaltete Demokratisierung – das europäische Parlament in Strassburg ist ja nur eine dem Namen nach demokratische Institution – wird an der zentralistischen Dynamik nichts ändern. Das Primat haben die wirtschaftlichen Interessen der Grosskonzerne und der Grossbanken und jene Volkswirtschaften, die von ihnen am meisten profitieren: Deutschland, Frankreich, Italien. Und falls es je einmal zu Volksabstimmungen nach dem Muster der Schweiz käme, darf man sicher sein, dass dieselben Mechanismen zur Beeinflussung des Resultats ins Spiel kämen, einfach fünfzig Mal grösser.

Was soll die Schweiz in der EU?

Das kolossale Scheitern der EU auf nahezu allen lebenswichtigen Feldern führt zwangsläufig zur Frage, was denn eigentlich ein Beitritt der (unvermeidlichen) 10-Millionen-Schweiz im 450-Millionen-EU-Raum soll? Etwa die Überlebenssicherung der Wirtschaft? Sämtliche Grosskonzerne und die (übrig gebliebene) Grossbank haben sich längst in die EU abgeseilt.

Oder der Schutz von Natur und Umwelt? Die Landwirtschaft als wichtigster unmittelbarer Öko-Player dürfte innert kürzester Zeit in Grosskonzerne umgepflügt worden sein, wie es derzeit beispielsweise in Rumänien abläuft und für die Ukraine geplant ist und es Frankreich und Deutschland schon fast hinter sich haben.

Oder die Neutralität? Viola am Herd ist gerade unter dem Kommando ihrer Generäle dabei, die Schweizer Armee für die NATO herzurichten und die gegen jede Vernunft beschafften Kampfflugzeuge können eh nur fliegen, wenn die dafür nötige Software in Washington freigegeben wird. Wenigstens hier wird sich demnach nichts ändern. Die Schweiz bliebe in der NATO.

Oder die Rettung vor der Klimakatastrophe? Der kürzeste Witz seit langem.

Gibt es eine Alternative?

Es gibt gute Gründe für einen Anschluss an Partner, um im Bedarfsfall eine bessere Verhandlungsposition zu haben. Eine alternative zur EU stellt sicher der EWR, der Europäische Wirtschaftsraum dar. Die 1992 verspielte Chance für einen Beitritt zu diesem vergleichsweise lockeren Bündnis der ehemaligen EFTA-Staaten mit der EU würde die so genannten 4 Freiheiten sicher stellen: freier Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr. Um die möglichst weitgehende Teilnahme der EFTA-Staaten am EU-Binnenmarkt zu ermöglichen, handelten die EFTA-Staaten und die EU das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) aus. Ausser der Schweiz haben alle EFTA-Staaten das EWR-Abkommen ratifiziert. Finnland, Österreich und Schweden sind seither der EU als Vollmitglieder beigetreten. Der Beitritt der Schweiz zum EWR zöge nicht zwangsläufig einen Beitritt zur EU nach sich, allerdings müsste EU-Recht jeweils weitgehend nachvollzogen werden. Eine Überlegung wäre es trotzdem wert, denn Irrtümer in der Vergangenheit lassen sich für die Zukunft korrigieren.

Olten, 24. November 2023/SF

Konsumverzicht ist Revolte ist Befreiung

Es gab eine Zeit, als man im Dorf- oder Quartierladen oder im USEGO-Lädeli die Artikel des täglichen Bedarfs besorgte. Es gab Rabattmärkli, die sorgsam ins Sammelheft geklebt wurden. Den Metzger kannte man, die Frau des Bäckers sowieso und beim Anstehen gab es den einen oder anderen Schwatz. Dann kam die Zeit von Konsum und Migros. An bester Lage wurde alles billiger. Dann stand jedem Haushalt auf Kredit ein Auto zu. Man fuhr vorbei an geschlossenen Metzgereien, Bäckereien und USEGO-Lädeli in die nächste Stadt, wo Migros und Coop die Artikel des täglichen Bedarfs und noch viel mehr verkauften. Dann kamen Autobahnen an deren Aus- und Einfahrten entstanden unter Führung von Migros und Coop die Shopping-Centers, wo man die Artikel des täglichen Bedarfs und noch viel mehr verkaufte. Man fuhr vorbei an geschlossenen Metzgereien, Bäckereien, USEGO-Lädeli und Migros- und Coop-Läden, um das Shoppen zu erleben. Dort, wo unter weitläufigen Parkplätzen die grünen Wiesen des früheren Dorfes verschwunden waren, gab es jetzt Einkaufspärke. Wo man, je mehr man einkaufte, desto mehr sparte. Hiess es.

Dann kam das Internet, wo es die Artikel des täglichen Bedarf und noch sehr viel mehr zu kaufen gab. Vorbei an geschlossenen Bäckereien, Metzgereien, USEGO-Lädeli, Shopping-Centers und Einkaufs-Pärken mit ihren weitläufigen leeren Parkplätzen fuhren jetzt Lieferwagen der Post, von DHL und UPD und entluden unseren Online-Einkauf, unweit des geschlossenen Dorf- oder Quartierladens. Und alles war viel teurer geworden. 

Neulich ging im Quartier ein Laden auf, wo zuvor ein USEGO-Lädeli die Artikel des täglichen Bedarfs verkauft hatte. Und wie man hört, sollen sich ein junger Bäcker und der Sohn eines Metzgers zu einer Genossenschaft zusammen gefunden haben, und bald gemeinsam nebeneinander Brot und Fleisch anbieten. Es gibt jetzt jeden zweiten Tag einen Gemüsemarkt, an dem die Produzenten aus der Nähe frisches Gemüse und saisonale Früchte verkaufen. Und es gäbe, so hört man, eine stetig wachsende Zahl von Menschen, die dem „Exile-on-Mainstream“ entfliehen möchten. Und für alle würden alle Wege kürzer, derweil die Preise sinken.

Möglich wäre es. Gibt es Zeichen und Gründe für Hoffnung? 

Allein, die bittere Erkenntnis daraus ist, dass 50 Jahre grenzenloser Konsum und haltlose Plünderung der Ressourcen für nicht einmal ein Fünftel der Menschheit offenbar notwendig gewesen sind, um angesichts einer bis an den Abgrund „fortgeschrittenen“ Menschheit zum Anfangspunkt zurück zu kehren.

Es gab eine Zeit vor dem Kapselkaffee. Als man sich seinen morgendlichen Anstoss durch den Filter laufen liess und sich später aus einer Kanne bediente. Dito Tee. Inzwischen haben Milliarden von Alu-Kapseln für einen unsinnigen Verbrauch von Energie beim Bauxit-Abbau, bei der Produktion und bei der Vernichtung gesorgt. Millionen unsinniger Maschinen belasten den Planeten. Unabhängig davon, ob es inzwischen Kapseln gibt, die man nach Gebrauch im Blumentopf entsorgt (Werbung). What else? Eben!

Wenn die übergewichtige Mila statt in einem 2,5-Liter-Diesel-SUV nun mit ökologisch geschwellter Brust ihrer Mutter in einem elektrisch betriebenen Porsche Cayenne einen halben Kilometer weit zur Bildungsanstalt gefahren wird, ist zwar in Sachen Klima überhaupt gar nichts erreicht, aber Mama darf aufgrund der millionenschweren Werbung davon ausgehen, dass aus der Sicht der Nachbarin ihr eigenes Gewissen rein bleibt. 

Ein Blödsinn bleibt auch „klimaneutral“ betrachtet ein Blödsinn.

Harmlos, vergleichsweise.

Wenn ein Jahr nachdem die weitgehend überflüssigen Corona-“Massnahmen“ endlich aufgehoben worden sind, auf den Flughäfen des Landes die Menschen Schlange stehen, um sich aus den hiesigen 35 Grad Hitze in die 45 Grad auf den Balearen oder in Benidorm zu flüchten und dies als Erholung bezeichnen, ist dies den Medien nicht eine einzige Nachfrage wert. Man schreibt aber, der Flughafen Zürich Kloten und die Swiss hätten sich von Corona erholt.

In die angeblichen Ferien zu fliegen, um die wegen der Klimakatastrophe ausufernden Waldbrände aus der Nähe zu betrachten, hat irgendwie etwas Infantiles. Das ist dann nicht einmal klimaneutral ein Blödsinn – man leistet sich ja dafür einen Klimaaufschlag auf das Ticket –, sondern einfach so.

Wie wenn sich auf der Welt und in den Köpfen der Menschen rein gar nichts verändert hätte, benimmt sich der so genannte Ski-Zirkus, der heutzutage vornehmlich von ehemaligen Schifahrern betrieben wird. Unverfroren – welch wunderbares Wort in diesem Zusammenhang! - gibt man zu Protokoll, dass der Start des Weltcups wie vorgesehen auf österreichischen Gletschern stattfinden soll. Und wenig später sollen Schirennen auf Gletschern in der Schweiz stattfinden, wozu man – im Interesse von Sport und Tourismus versteht sich – mit Baggern, Dynamit und hohlen Sprüchen gerne mal ein paar Gletscher demoliert. Einer dieser Eisheiligen hat jüngst auf die Kritik an dieser Vergewaltigung alpiner Landschaften geantwortet, dass das alles doch gar nicht so tragisch sei, denn man habe von den hunderten alpiner Gletscher bisher ja nur ein paar wenige für den Schisport etwas arrangiert. Und überhaupt sei der Anteil des Schisport am Klimaproblem nur gerade im Promillebereich angesiedelt – das argumentative Schweizer Sackmesser für jede Art unnötigen Schwachsinns.

Dasselbe Argument wird regelmässig auch von den Abgasjunkies der Formel 1 vorgebracht, von der FIFA sowieso, die sich gerade anschickt, die Fussball-WM 2034 in Saudi-Arabien abspielen zu lassen. Logisch, denn nachdem sich die Feudalherren in Katar den Weltfussball vorführen liessen, soll sich nun auch der saudische Hof am Fussball erfreuen dürfen. Selbstredend alles klimaneutral. Was hat das mit unserem Konsum zu tun? Ganz einfach: durch unser Zuschauen – notabene am Fernseher – werden Werbegelder generiert, in Milliardenhöhe. Infantino und sein infantiler Club aus korrupten Delegierten, Managern und Beratern bereichern sich dank unserem hirnlosen Zuschauen bis zum Abwinken. 

Wo wir schon dabei sind: Wollen wir noch von Olympischen Spielen reden? Von Olympischen Winterspielen im Speziellen? In einem Land – pardon: in einem Kanton – wo das Heliskiing auf Gletschern gerade als Grundrecht in die Verfassung geschrieben werden soll? Viola hat bereits angerichtet. Das Schweizer Farbfernsehen steht mit der geistigen Hand an der Hosennaht zum Befehlsempfang parat, die übrigen Medien heizen bereits die Stimmung an. Schifahrer erscheinen auf allen Kanälen und Seiten als Labelträger und Werbeikonen und sagen nach jeder Abfahrt immer den einen tiefgründigen Satz: Ich kann es immer noch nicht fassen. Derweil der Verkauf von Schihosen und -Brettern anläuft. Und die Schikanonen in Stellung sind.

Bald ist es wieder soweit. Das aus den USA – woher denn sonst? – importierte Hochamt des Konsumismus wird zelebriert: Black Friday. Kaufe, wenn Du sein willst, verdammt noch mal! Das 1. Gebot für den Gläubigen, der mit acht auf drei Zentimeter Plastik seine Unterwerfung unter den einen und einzigen Konsum-Gott bezeugt. Der PIN-Code als Kreuzzeichen – und vergib weder Schuldigern noch Schuldnern, denn sie wissen, was sie tun. Am Ende kommt nicht der Teufel ins Haus, sondern der Betreibungsbeamte. 

Und damit ein unnötiges Ereignis tatsächlich zu einer ebenso überflüssigen Tradition werden kann, müssen schon die Gofen rechtzeitig, am besten im voraus in den amerikanischen Lifestyle eingeübt werden. Spielerisch, mit Klamauk und jeder Menge Hollywood. Und die Klick-Medien reiben sich an abgewrackten Models und werden zu deren medialen Wurmfortsätzen, indem jeder Scheiss, den diese Idiotinnen auf Instagram, Tik-Tok oder Fakebook veröffentlichen, aufgekocht, wiedergekäut und durch alle Kanäle gekotzt wird. Dabei legt die Swisscom mit ihrem intellektuellen Tiefbohrer Bluewin ein besonders auffälliges Verhalten an den Tag. Halloween. So geht das. Der November hatte es schon immer schwer, für viele mehr als Nebel zu sein. Aber aus Europa den Hintergrund für Amerikas Schrott-Kultur zu machen, das hat diese melancholische, ja geradezu mythische Jahreszeit wahrlich nicht verdient.

Angeblich läuft in der Schweiz jeder Vierte mit einem Tattoo herum. Bei den Jüngeren soll sich inzwischen jede zweite Person einen so genannten Hautschmuck verpasst haben. Für eine kleine dieser gestochenen Schmierereien – drei mal drei Zentimeter - bezahlt man 99 Franken (toll, wie in der Migros, keine hundert!). Andere verlangen 200 bis 500 für kleinere „Arbeiten“ oder es werden einfach ab 200 Franken pro Stunde verlangt. Piercings sind übrigens ab 77 Franken zu haben. Je Ohrloch kostet die Kopf-Armierung 44 Franken (Preise von einer offiziellen Website eines Tattooladens in Züri). Viele Hirnlose laufen mit ihren Tattoos und Piercings herum, als trügen sie eine Uniform. Die neuen Massen sind uniforme Individuen. Ab 85 Franken kann man sich die Nägel machen lassen. Und ab 240 Franken kann sich die Frau, die etwas auf sich hält, den Damenbart und die Halskrause abrasieren, pardon: peelen lassen. Jetzt zum Aktionspreis in Züri und „mit Zufriedenheitsgarantie“.

Um auf den Malediven schon als Malediver anzukommen, empfiehlt sich das Bräunen in der Sonnentonne. Fünfzehn Minuten kosten so für den noch chäsbleichen Touristen ab 15 Franken, möchte man sich im Schongang rösten lassen, also im Programm Sun Pure Beauty, verbrennt man dafür 15 Franken pro Minute unter dem „BEAUTY LIGHT, ergänzt mit geringer UV-Dosis, damit Sie von den biopositiven Wirkungen der Sonne (Vitamin D) profitieren“ (Originaltext auf einer Solarium-Website). 

Verzichten wir an dieser Stelle grossmütig auf ein paar süffisante Beschreibungen von wortwörtlich zu nehmenden Auswüchsen von Botox, Brust-, Hintern oder Backen-Implantaten. Ist das alles wichtig? Jede Dummheit für sich kann getrost als Banalität abgetan werden. Schliesslich hat jeder und in den letzten Beispielen vor allem jede das Menschenrecht, sich Melanome anzuzüchten, schleichende Blutvergiftungen in den Leib zu stechen und den eigenen Körper als glattrasierte Jeff-Koons-Statue durch die Welt zu tragen.

Das Problem wird in seiner Ganzheit nur dann ersichtlich, wenn die Einzelteile zu einem Gesamtbild zusammengefügt werden. Und es ist nicht schön dieses Bild des künstlich gebräunten, gepiercten, scherennägelbewehrten, beschmierten, gebotoxten und deformierten zeitgenössischen Menschen. Boris Karloff als das von Frankenstein erschaffene Monster erscheint dagegen wie ein Zwillingsbruder von Michelangelos David. Doch ist nicht die neuerdings erkaufte Hässlichkeit von Bedeutung. Was zählt ist die Leichtigkeit, mit der sich eine wachsende Masse von Ignoranten zu überflüssigem Konsum verleiten lässt. Investiert wird der eigene Körper – als letzte Stufe der konformistischen Selbstverachtung – und sehr viel Geld. Von der freiwilligen Verschuldung durch das als „Leasing“ euphemisierte Abzahlen von Autos, Möbeln, Klamotten, Ferien, Telefonen und jeder Art von Luxus-Tand ganz zu schweigen.

In den Sechziger Jahren machte beim Aufkommen der „Autos für jedermann“ der Spruch die Runde: Würden nur jene Autos herumfahren, die auch tatsächlich bezahlt sind, wäre es auf den Strassen ruhig und friedlich. Dahinter steckte nicht (nur) der Neid der Besitzlosen, sondern auch der Stolz der (noch) Schuldenfreien.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass unser so genannter Lebens-“Stil“ zu einem überwiegenden Teil auf Pump begründet ist. Schulden haben Stil. Angefangen bei den Hypotheken bis hin zur abgestotterten Handy-Rechnung der Tochter, die sich ohne Tik-Tok, Instagram, Twitter oder Fakebook im Elternhäuschen auf dem Land sonst, nach eigener Aussage, zu Tode langweilen würde. Dazwischen liegt bekanntlich ein weites Feld von Abhängigkeiten jeder Art. Abhängigkeiten, die - unausgesprochen - eine ständige Unterwerfung bedeuten und Anpassung an die von den Kreditgebern und letztlich von deren vorgeschobenen Posten in Parlamenten und Regierungen herausgegebenen Order einfordern. Jeder, der schon einmal versucht hat, seinen Nachwuchs vom Handy abzuhalten, weiss um den Sinn des gerade Beschriebenen. Zwei Tage Handyverbot gelten bald als strafrechtlich relevante Folter.

Andersherum ist die Gleichung natürlich ebenso gültig. Je weniger Schulden (und den ganzen damit verbundenen Rest), desto mehr Freiheit steht einem zur Verfügung. Und diese Freiheit begänne (Konditional ist angesagt) im Kopf. Diese – zunächst innere – Freiheit könnte dazu führen, den Wert des eigenen Lebens einzuschätzen. Nach Werten zu suchen, die im von Schrott verstellten Alltag gar keinen Platz mehr gefunden haben. Dann fände man auch den Mut, den durch die beschriebenen Zwänge errichteten Zwinger des Privaten zu verlassen und ins Öffentliche, vielleicht sogar ins Politische hinauszutreten und danach zu fragen, was denn der ganze Wahnsinn eigentlich soll. Und dieses Öffentliche ist eben nicht mit dem Herausspucken rassistischer, antisemitischer, xenophober oder sexistischer Wortbrocken in die Kanäle der von den Schulden-Herrschern ebenfalls gesteuerten Medien zu verwechseln. Es ginge um Verantwortung gegenüber dem Allgemeinen, dem Wesen der Menschen und der Natur. Es ginge um eine Revolte, die nicht den gewaltsamen Sturz irgendeines Systems zur Folge hätte, sondern die fundamentale Reform des fehlgeleiteten Allgemeinen. Dafür braucht es Menschen, die in ihren Köpfen Platz geschafft haben für eigenes Denken. Vielleicht bleibt uns dafür noch Zeit. Der Versuch wäre es wert. Und wenn wir es nicht wagen?

Hannah Arendt hat ihren Report über den Eichmann-Prozess in Israel 1961 mit folgendem Satz beendet: „In diesen Minuten war es, als zöge Eichmann selbst das Fazit der langen Lektion in Sachen menschlicher Verruchtheit, der wir beigewohnt hatten – das Fazit von der furchtbaren Banalität des Bösen, vor der das Wort versagt und an der das Denken scheitert.“ (H. Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, Verlag Piper, Neu-Edition)

Bei aller gebotenen Demut vor dem Werk Arendts und insbesondere vor dem Holocaust, in dem Eichmann eine herausragende Rolle spielte, auch wenn er gemäss Arendt von einer „empörenden Dummheit“ war, sei doch eine Annäherung an die Begrifflichkeit gewagt.

Ist es nicht so, dass sich die Menschheit auf einem abschüssigen Weg befindet, auf dem wir uns freiwillig immer schneller dem Abgrund zu bewegen – als Konsequenz unsäglicher und schier undenkbarer Banalität der Dummheiten? Eine globale Dummheit, die jetzt schon Millionen unbeklagter Menschenleben kostet, Jahr für Jahr? Und den Ungeborenen einen verwüsteten Planeten vorbehält?

Wäre es nicht dringender und klüger, durch Konsumverzicht (mit Beginn beim Unnötigen, Sinnlosen und Dummen) die Revolte zu wagen, um dadurch die Freiheit zu eigenem Denken und Handeln zurück zu gewinnen? Es steht nicht weniger als das Überleben der Menschheit auf dem Spiel.

Oder wollen wir es uns einfach machen und dereinst unseren Enkelkindern antworten: Wir waren alle dabei, haben konsumiert und nichts gesagt und ja, wir tragen Schuld? Aber, um nochmals Hannah Arendt zu bemühen: „wo alle schuldig sind, ist es keiner; gegen die Entdeckung der wirklich Schuldigen oder Verantwortlichen, die Missstände abstellen könnten, gibt es keinen besseren Schutz als kollektive Schuldbekenntnisse“.

Olten, 8. November 2023/SF

PS: Letzteres als Hinweis darauf, dass das sich an Bilder, Strassen und sonst wo Kleben nur ein kollektives Schuldbekenntnis behauptet, die steuernden Interessenvertreter und Untergangs-Profiteure bleiben ungeschoren.