Gedanken zur Zeit I
Auf der Autobahn zum Klimaschutz
Der Bundesrat will die Autobahn A 1 auf den Streckenabschnitten Bern-Zürich und Lausanne-Genf auf mindestens sechs Spuren ausbauen. Er empfiehlt eine entsprechende Motion aus dem Nationalrat kommentarlos zur Annahme, wie unlängstbekannt wurde. Der Vorstoss stammt von SVP-Nationalrat Erich Hess und wurde von 31 seiner Fraktionskollegen mitunterzeichnet. Hess begründe seine Motion damit, dass das Verkehrsaufkommen auf der 410 Kilometer lagen A1 heute um einiges grösser sei als früher.
Nicht dass ein solcher Vorstoss aus dem Nationalrat überrascht. Auch dass er von einer Bundesratspartei stammt, die sich vor ein paar Jahren die Autopartei einverleibt hat (und deren neuster Bundesrat gerade eben noch Präsident von Auto-Schweiz gewesen ist), ist kaum der Rede wert. Unappetitlich wird die ganze Sache deshalb, weil sich die gesamte Landesregierung kommentarlos hinter den Vorstoss stellt und damit stillschweigend deren Argument übernimmt. Eine Landesregierung, die von jedem Dach herab verkündet, sich um das Klima Sorgen zu machen und der Bevölkerung fast tagtäglich ins Gewissen redet, mit den Ressourcen sorgsam umzugehen und alles für einen CO2-neutralen Lebenswandel auf sich zu nehmen. Schon wegen dem angeblichenEnergiemangel.
Weil wir also mehr Verkehr produzieren als früher, braucht es breitere Strassen. So hat man schon in den 70er Jahren argumentiert, um einerseits den Autoimporteuren eine breitere Fläche für ihre Spielzeuge anzubieten (und damit den Auto-Absatz zu fördern) und andererseits der Strassenbaulobby tüchtig Aufträge zuzuschaufeln. Aufträge für die man ausländische Arbeitskräfte importieren musste, für welche es dann auch neue Wohnungen brauchte und neue Strassen, auf denen die neuen Arbeitskräfte zur Arbeit fahren konnten. Der Kreislauf ist bekannt. Und die Konsequenzen auch. Nicht nur, dass der Schadstoffausstoss des motorisierten Verkehrs trotz Katalysatoren und allerlei Schönrednerei Jahr für Jahr steigt. Auch die Landschaften in diesem kleinen Land sind zubetoniert. Einkaufszentren auf dem Land (leere Städte), Lagerhäuser noch und noch, überall die Hüslischwiz, die durch den Zubau von Strassen erst möglich wurde (und durch ein obszönes Bodenrecht, das eine nicht erneuerbare Ressource der Spekulation schutzlos ausliefert).
Die Wachstumsorgie im Strassenbau hat inzwischen auch die Bahnen erfasst. Mit dem Argument, dass es den Dreissigsekundentakt auch noch im hinterletzten Chrachen brauche, um Vorderfrutigen nicht von der Entwicklung, von Zürich und von der Welt abzuschneiden, werden Trassen durchs Land gelegt, wie von einem Märklin-Fan mit unbeschränktem Sackgeld. Nach den Milliarden, die man in Zürich verlocht hat, folgt nun Bern, wo gerade ein paar weitere Milliarden für noch mehr Bahnhof versenkt werden. Und Lausanne und Liestal und und und. Und wo die Bahn hinkommt – oder die Autobahn – steigen die Preise für den Boden, die Häuser, die Wohnungen. Es wächst zusammen, was zusammen gehört. Angeblich braucht es das alles, weil wir alle um einiges mehr Zug fahren als früher.
Und weil in immer mehr Wohnungen immer weniger Leute hausen, braucht das Land neue Häuser, neue Wohnungen, die dann noch mehr Energie verbrauchen und neuen Verkehr erzeugen, der durch noch mehr Strassen, noch mehr Strassenbahnen, noch mehr Bahnen … die Geschichte ist bekannt.
Da fällt auch gar nicht mehr auf, wenn mit dem Segen des Bundesrates, aber vorerst noch ohne Bundesgelder, unter der Oberfläche ein gigantisches, milliardenschweres Tunnelsystem gebaut werden soll, das für den Transport von Waren geplant ist. Waren, die immer mehr Menschen online bestellen und deshalb möglichst subito von einer Verteilzentrale zur anderen Verteilzentrale spediert werden müssen. Weil ja an der Oberfläche alle sechs- bis achtspurigen Autobahnen bereits wieder verstaut sind mit 2 Tonnen schweren Geländefahrzeugen, die gerade mal 80 Kilogramm Mensch von Frick nach Zürich oder von Thun nach Bern befördern, weil auf zwei Spuren Lastwagen stehen, welche die von den an ihnen vorbeirasenden 80 Kilogramm Mensch am Vortag online bestellt wurden, damit sie das Zeug am Abend, nach weiteren 80 Kilometern auf der Autobahn-Rückreise bei sich zuhause in Hüsliswil auspacken können. Denn per Bahn reist ja niemand mehr; weil wegen der permanenten Baustellen kein Zug mehr pünktlich fährt. Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode. Seit 60 Jahren. Aber schon William Shakespeare wusste mehr vom Wahnsinn als unsere von reiner Vernunft getriebenen Politiker.
Jetzt also der totale Ausbau eines Verkehrs-Systems, das seinen Grenznutzen längst überschritten hat und nur noch Kosten und Schäden anrichtet: an Mensch und Natur. Hat jemand im Parlament - vom Bundesrat, dem Befehlsempfänger von Bau-, Banken-, und Bauernlobby ganz zu schweigen - Halt! Gesagt? Dass von der erdrückenden Mehrheit dieses rechtsbürgerlichen Parlamentes, zu der ohne Umschweife auch die grün-freisinnige GLP zu zählen ist, nicht der Hauch von Besinnung zu erwarten ist, erstaunt kaum. Vernunft hat kein politisches Gewicht. Sonst hätte dieses ultrakapitalistische Land längst schon zur Vernunft einer gerechten Besteuerung von Vermögen und Einkommen gefunden. Oder zu einer Altersversicherung, die diesen Namen verdient. Oder zu einem Gesundheitssystem das nicht mit kranken Kassen finanziert wird beziehungsweise vom einfachen Steuerzahler, dafür gleich – mindestens – doppelt bezahlt: Prämien und Steuern für die Prämienverbilligung, von den Zuschlägen auf Tabakwaren gar nicht zu reden. Das – und noch viel mehr – würde auch zu einer kohärenten Klimapolitik gehören, weil nur eine menschliche, solidarische und nach Gleichheit trachtende Gesellschaft für ein harmonisches Leben mit der Natur fähig ist. Alles andere ist Konsum, Wachstum, die Logik von immer mehr desselben müsse zwangsläufig zu immer besser führen. Das Beispiel des Autobahnwahnsinns spricht Bände.
Geradezu lustig erscheint da die Geschichte von der Solaroffensive. Mit lautem medialem Trarara wird seit Jahr und Tag dafür geworben, dass man im Hochgebirge doch endlich Solarparks einrichten soll, um die künftige Stromlücke – ein Folge des oben beschriebenen Wahnsinns – gar nicht erst entstehen zu lassen. Und weil solare Paneele sozusagen in jedes Parteiprogramm passen, irgendwie, herrscht landauf, landab wärmender Konsens zu den Solarparks im Wallis – wo man seit Menschengedenken das Subventionieren im Blut hat. Blöd nur, dass offenbar kein Mensch auf die dämliche Frage gestossen ist: Wie kommen denn die künftigen solaren Gigawatt in die Üsserschwiz, also zu den grenzenlos und elektrisch herumfahrenden und konsumierenden Landsleuten im flachen Land? Die Sache wurde derart blöd aufgegleist, dass man die hochtrabenden Projekte in den Hochalpen auf das Niveau von Sonnenpärklein zurückstufen muss – die dafür notwendigen Leitungen wurden in der Solareuphorie vergessen. Ende der Durchsage.
Wenn die erdrückende Mehrheit nicht zur Wende fähig ist, sieht es denn bei der nominellen Opposition besser aus? Fehlanzeige. Von Rot bis Grün eifert man den Wachstumsvorgaben hinterher und reiht sich in das unreflektierte Gehabe um die neuen erneuerbaren Energien ein. Hauptsache mehr Energie, aber bitte mit Grün. Es ist auch noch niemandem eingefallen, eine Strategie zu entwerfen, wie man die breite Bevölkerung von weniger Wachstum, von weniger Haben und von mehr Leben überzeugen könnte und nicht bloss die eigene Klientel der fünfundzwanzig Prozent Minderheit, die es auch mit oder ohne rote und grüne Parteien geben würde.
Weit und breit ist nicht die Spur eines glaubwürdigen Rückbaukonzeptes (was zum Beispiel Autobahnen oder Hochbauten beträfe) in Sicht, auch hört und liest man nichts von einer Abkehr vom Wachstumswahn. Offenbar hat man sich längst damit abgefunden, ein paar abfallende Profitprozente zu verteilen oder sich die grün gestrichenen Leitplanken an den Autobahnen auf‘s politische Guthabenkonto zu verbuchen. Auf der Autobahn Richtung Klimaschutz. Hauptsache elektrisch. Wir sehen uns vor Gösgen II.
Immerhin: der elektrische Strassenverkehr hat sein Gutes. Dank der neuen Ruhe hören wir nun alle die Vögel besser, die seit Jahren nicht mehr pfeifen.
Olten, Mai 2023/SF
Diplomfabriken
«Ein spektakulärer Befreiungsschlag ... war die Schließung der Fachhochschulen. Diese innert zwei Jahrzehnten zu universitätsähnlichen Bildungsinstitutionen aufgeblasenen Diplomdruckanstalten waren der bodenständigen Elite um Parteiideologe Zeusler und Bildungsminister Feinsinger schon lange ein Dorn im Auge. ... Die nicht ganz von der Hand zu weisende Begründung lag in den ausufernden Kosten. „Diese realitätsfernen Lernoasen“, gab Feinsinger an einem Bildungsparteitag den Takt vor, „kosten den Steuerzahler nicht nur so viel, wie unsere Armee, sie sorgen darüber hinaus auch für ständig steigende Lohnkosten, ohne in den Unternehmen echten Mehrwert zu schaffen. Man kann nicht mehr einfach nur Maler oder Schreiner einstellen, man stellt einen „Bätschelor“ (Wortschöpfung Feinsinger) ein, der die Hälfte mehr kostet, aber nur halb so gut arbeitet, wie ein Maler und Schreiner, der seinen Beruf gelernt hat und sich auf seine Arbeit konzentriert. Wir werden die „Bätschelorisierung“ (Feinsinger) unseres Berufsalltags beenden. ...“» (Aus „Der Abgang“, 2016)
Zugegeben, der rüde Text(auszug) aus der dystopischen Satire „Der Abgang“ entspricht nicht ganz der soeben die Runde machenden Jubelgeschichte über die Erfolge der höheren Bildung in der Schweiz. Titel: „Mehr Bildung zahlt sich beim Lohn aus“. Der Reihe nach.
Gemäss dem gerade veröffentlichten Bildungsbericht Schweiz 2023“ ist es so – was alle Interessierten seit einem Vierteljahrhundert ohnehin wissen -, dass Absolventen einer Fachhochschule gegenüber Personen, die nach der obligatorischen Schulzeit keine Ausbildung gemacht haben mit einer „Rendite“ (sic!) von 6,5 bis 7 Prozent pro Ausbildungsjahr rechnen können. Der Absolvent einer Berufslehre hat demgegenüber gerade mal 4,3 Prozent mehr in der Lohntüte als sein früherer Klassenkamerad, der als Oberschüler ins Leben geschickt wurde.
Bei Lehrerinnen und Lehrern schenkt das Diplom einer Fachhochschule, die man jetzt standesgerecht pädagogische Hochschule (früher einfach Lehrerseminar) nennt, besonders ein. Gemäss Zeitungsbericht (Wanner-CH-Medien) „können Primarlehrpersonen mit einem Bachelorabschluss beim Verdienst locker mit so manchen Personen mithalten, die einen Uni-Masterabschluss in der Tasche haben“. Wobei nur etwa die Hälfte aller Studierenden ihr Studium auch tatsächlich abschliessen, die andere Hälfte … siehe weiter unten.
Liest man weiter, kommt man aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. „Wer eine dreijährige Berufslehre plus noch zwei Jahre an einer Höheren Fachhochschule absolviert hat, verdient durchschnittlich 32 Prozent mehr. Demnach lohnt sich das Studium an einer höheren Fachhochschule, Fachhochschule oder Universität am meisten. Dort liegt die Rendite pro zusätzlichem Bildungsjahr zwischen 6,5 und 7 Prozent.“
Wer länger studiert, pardon: sich ausbilden lässt, verdient mehr. Begründet wird dies laut Bildungsbericht mit einer behaupteten, aber nicht belegten „gesteigerten Produktivität“. Wer sich länger an einer der genannten Bildungsinstitutionen aufhalte, sei produktiver, so die Schlussfolgerung. Was – unkommentiert – mehr Lohn rechtfertige. Absolventen einer Uni oder ETH dürfen mit einem Monatsgehalt von über 10‘000 Franken rechnen, Nach einer Fach- oder pädagogischen Hochschule (auf deutsch als Lehrer) liegt der mittlere Verdienst knapp unter 9‘000 Franken. Der Zeitungsbericht erlaubt sich dazu die Feststellung: „Mit einem Hochschulabschluss verdient man also deutlich besser als mit einer höheren Berufsbildung.“
Doch zurück in das reale Leben. Wer nach einer obligatorischen Schulzeit aus was für Gründen auch immer keine weitere Ausbildung gemacht hat, verdient weniger als 5‘000 Franken. Mit einer Berufslehre liegt der Medianlohn bei gut 6‘000 Franken (will heissen: die Hälfte der ehemaligen Stifte verdient mehr als 6‘000 Franken, die andere Hälfte weniger). Coiffeusen zum Beispiel bescheiden sich demnach mit durchschnittlich 4‘200 Franken – bei einem Volljob, versteht sich.
Man kann die geschilderten Umstände, welche man offiziell ebenso gedanken- wie straflos als Erfolg bezeichnet, auch ganz profan betrachten. Nämlich etwa so: Die unteren Einkommen, jene Armseligen, denen es gerade für eine Berufslehre gereicht hat, müssen im Familiengründungsfall mindestens zu zweit zu hundert Prozent schuften, um auf ein Einkommensniveau zu kommen, das einem Lehrerlohn entspricht. Mit dem Gehalt einer ausgebildeten Coiffeuse oder eines Kochs wäre jedenfalls der Familienmonat schon am 15. zu Ende.
Oder umgekehrt: Die Diplomierten einer durch alle Steuerzahler hoch subventionierten Ausbildungsstätte wie etwa Fachhochschulen können es sich leisten, zu zweit jeweils ein nettes 3-Tage-Jöbchen anzunehmen, den Nachwuchs während dieser Zeit auf einem eventuell der ebenfalls massiv subventionierten Kinderparkplätze (Kitas sind ja scheinbar die sine qua non für die moderne Gesellschaft geworden, in der angeblich alle, aber auch wirklich alle immer arbeiten wollen) abzustellen und sogar noch etwas an die Betreuungskosten zu zahlen. Während die Coiffeuse und ihr Koch, die zu hundert Prozent schuften müssen, um über die Runden zu kommen, für die Parkgebühren ihres Nachwuchses einen halben Monatslohn hinblättern dürfen. Das Wort Vollbeschäftigung erhält so einen ziemlich bitteren Beigeschmack.
Aber auch die angeblich durch die Diplomgesellschaft verbesserte Produktivität ist eine Chimäre, die durch nichts zu beweisen ist. Denn verbesserte Produktivität würde ja bedeuten, dass ein Produkt oder eine Dienstleistung durch verbesserte Abläufe oder gescheitere Produktionsprozesse günstiger, also konkurrenzfähiger erzielt werden könnte. Was aber resultiert aus der gesteigerten Produktivität, wenn sie umgehend durch 30 Prozent höher Gehälter aufgesogen wird? (Einmal ganz davon abgesehen, dass Produktivitätssteigerungen von 30 Prozent für jedes Unternehmen einen ungeheuren Effort bedeuten.) Im Einzelfall dürfte sich ein Nullsummenspiel ergeben, das am Ende schlicht zu höheren Preisen führt.Hauptsache, eine Elitegesellschaft von Diplomträgern hat mehr für Konsum und damit auch mehr Ressourcenvernichtung im Sack. Dafür schwört man auf veganes Leben oder – noch schlimmer – auf eine lächerliche Klimaabgabe auf das Ticket nach Teneriffa, wo man selbstredend in einem nachhaltig und biologisch betriebenen Hotel absteigt. Gerade hat die Fluggesellschaft Swiss voller Stolz verkündet, dass im ersten Quartal 2023 ein Betriebsgewinn von 78 Millionen Franken bei einem Umsatz von 1 Milliarde erzielt worden sei; man verspüre viel Aufwind und eine weiterhin grosse Reiselust, teilte das Unternehmen mit und kündigte eine namhafte Erweiterung des Angebotes an. Sind das alles Coiffeusen und Köche, die sich diese Trips leisten können?
Was wir heute beobachten und seit Jahren hätten korrigieren können, ist die Vernichtung gewerblicher Berufsbilder, die in einem Land, dessen Wirtschaftsstruktur durch kleine und mittlere Unternehmen geprägt und getragen wird, von elementarer Bedeutung wären. Die Akademisierung der Berufswelt führt nicht in Ansätzen zu einem gesellschaftlichen – und schon gar nicht zu einem wirtschaftlichen – Mehrwert. Sie erzeugt ganz einfach unabsehbare Mehrkosten, die zwar Individuen mehr Einkommen bescheren, der Allgemeinheit jedoch ständig steigende Belastungen verursacht: Fachhochschulen, Professuren, unkontrollierbare Lohnkostensteigerung ohne zählbaren Gegenwert, Schmälerung der Konkurrenzfähigkeit durch steigende Gestehungskosten.
Rudolf H. Strahm (Die Akademisierungsfalle) warnt seit Jahren davor, die Berufslehre – einst das Rückgrat derschweizerischen Wirtschaftserfolges – durch eine grenzenlose Akademisierung verkommen zu lassen. Man hört ihm nicht zu. So wie man seit Jahrzehnten die Warnungen vor der Klimakatastrophe fröhlich lachend am Abflug-Gate oder zähneknirschend im Gotthard-Stau in den Wind schlägt. Gesetzgeber – mehrheitlich aus Absolventen von Höheren Fachhochschulen, Fachhochschulen oder Universitäten zusammengesetzt - und kantonale Entscheidungsträger (wesentlich für die Kosten der kantonalen oder regionalen Diplomfabriken zuständig) trotzen erfolgreich jeder Einsicht. Derweil die Folgen dieser Art akademischer Perversion allüberall zu besichtigen wären. In Frankreich beispielsweise, wird kaum mehr ein Planton ohne Bacc+x eingestellt, ebensowenig sind Rezeptionistinnen oder Kellner am Werk, die sich nicht mindestens über eine höhere Bildung ausweisen können. In Afrika wimmelt es nur so von „studierten“ Taxifahrern und Hotelboys. Wir sind auf gutem Weg dorthin.
In den hiesigen Personalabteilungen, pardon in den Abteilungen für Humane Rohstoffe (eigentlich die korrekteÜbersetzung von Human Ressources; Sprache kann zuweilen entlarvend sein) – sind nur noch Uni- oder FH-Absolventen zu finden. Sie haben zwar vom Leben eines Bewerbers ebenso wenig ein Ahnung wie von den Lebensrealitäten, der von von Ihnen minütlich über Teams und andere Spionagewerkzeuge aus der Werkstatt von Microsoft überwachten Angestellten und Arbeiter (wo es solche überhaupt noch gibt). Aber das spielt schon längst keine Rolle mehr, denn die immer hektischere Fluktuation eines zur permanenten Mobilität gezwungen Personals verlangt nicht mehr nach menschlichen Massstäben in der Beurteilung von Angestellten, sondern nach einem Abgleich der Leistungsparameter – so wie es beim Abbau von Rohstoffen eben darauf ankommt, ob der Rohstoff-Anteil noch genügt oder ob ein neues Feld nicht doch rentabler sei.
Übrigens ist es scheinbar noch niemandem aufgefallen, dass gerade diese Überwachungs- und Sortierabteilungen, die früheren Personalbüros, in jedem mittelgrossen Betrieb plethorische Ausmasse angenommen haben. Da sitzen diplomierte Leute herum, die nichts anderes zu tun haben, als Bewerbungen erstens nach dem Vorhandensein der in jedem Stelleninserat, unabhängig von der auszuführenden Arbeit, verlangten FH- oder Uni-Diplome zu prüfen und bei Nichtvorhandensein auszusortieren und zweitens, unabhängig von erstens, die Bewerber über 50 umgehend an die FH-Praktikantin zur Absage weiterzuleiten. Eine schier unüberschaubare Anzahl weiterer Diplomierter sorgt sich um die Kontrolle der Arbeitszeiterfassungssysteme, die Weiterbildungsangebote, die Praktikanten, die Abrechnungen der Lohnnebenkosten und mit den Therapieangeboten für die ausgebrannten höheren Angestellten mit höherer Fachausbildung. Wer‘s nicht glaubt, sollte sich einmal einen Einblick in die pseudo-privaten Staatsbetriebe wie Post, Bahn usw. verschaffen oder sich einem Betrieb mit Staatsgarantie umschauen, in Spitälern zum Beispiel.
Die Diplomfabriken sind mittlerweile zum Selbstläufer geworden. Die Kosten sind längst aus dem Ruder gelaufen, aber damit haben wir ja Erfahrung; man braucht sich nur das kranke Gesundheitssystem anzuschauen. Es findet sich kaum ein Politiker, der es wagt, nach dem Sinn zu fragen und – vor allem – nach dem Nutzen für Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei ist die Entwicklung absehbar. In wenigen Jahren wird es kaum noch Berufsleute ohne mindestens ein Diplom einer höheren Anstalt geben. Wer keines hat, wird dank der Personenfreizügigkeit aus dem südosteuropäischen EU-Raum geholt worden sein, um fortan als „Fachkraft“ hier Arbeit zu verrichten. Die hiesigen Diplomierten allerdings werden sich einer brutalen Ausmarchung um die – heute noch – besser bezahlten Jobs stellen müssen. Ein Ausscheidungsrennen bei dem vor allem die Anzahl, nicht einmal die Qualität, der Diplome zählen wird. Und weil im neoliberalsten, also im ultrakapitalistischsten Land der Welt Angebot und Nachfrage als das heilige Prinzip über Menschen und Maschinen gestellt wird, dürften sich die Über-Diplomierten bald um dürftig bezahlte Arbeit bemühen müssen. (Besonders eng wird es dann für jene Hälfte der Studenten werden, die nach dem Gymnasium ein Studium begonnen haben und es frühzeitig, natürlich ohne Abschluss, abgebrochen haben. Denn in den bisher für diese Fälle besonders aufnahmewilligen Nichtregierungs-Organisationen und Staatsbetrieben wird man sich dann wohl bei den billig gewordenen Diplomträgern bedienen.)
PS: Der Aargauer Bildungsdirektor (Regierungsrat) hat soeben mitgeteilt, dass er mehr als die bisherigen jährlich 13‘000 Studenten an die Fachhochschule holen will und deren Ausbau für die Jahre 2025 bis 2028 angekündigt.
Olten, Mai 2023/SF
Der neue Mief
Als Knirps in kurzen Hosen und Kniestrümpfen begleitete ich, noch bevor ich in den Kindergarten kam, oft und gerne meine Mutter beim Einkaufen. Man ging zweimal die Woche zum Bäcker, einmal, meistens am Freitag, zum Metzger und immer mal wieder in meinen Traumladen, indem fremde Gerüche waberten und seltsame Dinge zum Verkauf angeboten wurden. Manchmal gab es Bananen und im Herbst Mandarinen und Orangen, getrocknete Feigen; an Datteln erinnere ich mich, auf deren Verpackung unter Palmen Kamele lagerten. Pralle Säcke auf niederen Gestellen entlang der einen Wand neben Reis und natürlich Mehl und Zucker. Auf den Regalen hinter dem Ladentisch Keramikbehälter, auf denen wunderliche Worte standen wie Kakao, Vanillezucker, Pfeffer schwarz und weiss, Nelken, Zimt und so weiter. Unter der Glasplatte des Ladentisches verwirrten jedes Mal Messer, Kettchen, Amulette und allerlei Glänzendes den staunenden Dreikäsehoch, dessen Nase gerade bis zur Auslage unter der Glasplatte reichte. Aber mein absoluter Favorit war der auf der rechten Seite des Ladentisches auf einem Sockel kniende Neger, den man mittels eines in den dafür vorgesehenen Schlitz fallen gelassenen Batzens zum dankenden Nicken brachte. Und manchmal, meist am Ende des Monats, wenn Vater den Zahltag nach Hauses gebracht hatte, durfte ich mit einem Batzen den kleinen Neger zum Nicken bringen. Ich hätte am liebsten gleich reihenweise Batzen eingeworfen, nur um das Negerbuebli nicken zu sehen.
Das nickende Negerlein, das für irgendein Missionswerk Batzen für Batzen sammelte, gibt es nicht mehr (für überlebende Exemplare dieser Zeugnisse einer bigotten Mission und einer ausbeuterischen Kolonialwirtschaft werden heutzutage in Antiquitätenläden Spitzenpreise bezahlt), ebenso wenig die Kolonialwarenhandlung, in der der Knirps von damals dem Negerlein auf Augenhöhe begegnete. Die Unschuld der Fünfzigerjahre, in denen für Sensibilitäten wenig Raum war - man hatte wieder aufzubauen oder, vor allem in der Schweiz, an diesem Aufbau zu verdienen – wurde ein knappes Jahrzehnt vom Aufbruch der Sechzigerjahre und von einer Art neuer Aufklärung, wenigstens oberflächlich und von kurzer Dauer, weggefegt. Die Geschichte ist bekannt.
Heute?
Das Wort Neger allein ist zwar nicht gesetzlich verboten, aber umso wirkungsvoller von den weltweit durch das Netz wabernden Vereinten Nationen der Onliner (UNO) auf den Index der Unaussprechbaren gesetzt worden. Nicht, dass man sich per absolutistischem Urteil der Fakebook-Gemeinde damit zufrieden gäbe, dass dieses furchtbare Wort fürderhin einfach nicht mehr verwendet werden darf. Die Sache muss an der Wurzel gepackt werden, also in der Vergangenheit. Seither werden Haus-Fassaden von Mohrenköpfen gesäubert, selbstredend werden – von katholisch inspirierten Fasnachts-Cliquen – „Negerbälle“ abgesagt, sogar Schlager verstorbener Sänger umgedichtet. Und Othello bis auf Weiteres nicht mehr gespielt, es sei denn, man engagiere einen Originalschwarzen für die Rolle des Generals. Neuerdings – die Krönung des aufgeweckten Zeitgeistes – bringt Carmen Don José um. Wie könnte es also anders sein, man muss sich der verdorbenen Literatur annehmen. Jetzt werden Bücher umgeschrieben und Manuskripte, welche das Wort Neger enthalten, werden schon gar nicht zum Buch (was dem hier Schreibenden widerfahren ist). Unbesehen vom jeweils beschriebenen gesellschaftlich-historischen Kontext wird alles, was Neger und Nigger (idem in anderen Sprachen) enthält kurzum umgedichtet. Die Erben Agatha Christies haben sich freiwillig zum Umschrieb des ursprünglichen Theaterstückesihrer Erblasserin mit dem Titel Zehn kleine Negerlein entschlossen. Wir wollen nicht fragen, was William Faulkner davon hielte oder Hemingway oder James Baldwin dazu zu sagen hätten. Oder Aimé Césaire oder Léopold Sédar Senghor oder Youssou N‘Dour, ganz zu schweigen von Johnny Clegg, dem einzigen weissen Schwarzen Südafrikas. Es gab eine Zeit, in der die Bücher der als nicht konform eingestuften Dichter verbrannt worden sind. Jetzt werden ihre Bücher umgeschrieben. Literatur wird in das zeitgeistige Moralin getüncht. Falsch: in ihm ertränkt. Schon sind in Verlagshäusern Spürhunde am Werk, sensitivity reader, um die hauseigenen Publikationen nach nichtkonformen Worten und Textstellen zu untersuchen. Neue Manuskripte werden sowieso einer diesbezüglichen Eignungsprüfung unterzogen, entweder angepasst oder verworfen. Der Autor, im Weigerungsfall, auf den Index gesetzt. Die neue entartete Kunst lugt um die Ecke. Waren wir nicht schon mal da? Das öffentliche Verbrennen wäre ehrlicher. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die hinter Fakebook, Twitter und anderen Plattformen des digitalen Standgerichts versteckenden Scharfrichter hervorwagen und zur Tat schreiten. Mit Sicherheit unter dem Beifall einer orientierungslosen, allein dem Klick-Ergebnis unterworfenen Journaille, deren Mitglieder entweder der Gameboy- oder (noch schlimmer) der Instagram-Generation angehören, also ein Buch bestenfalls als Briefbeschwerer kennen und Geschichte als Netflix-Serie. Jedenfalls könnten diese neuen Zensoren locker zur sechsten Art von David Graebers Bullshit Jobs werden. Sie würden sich unbemerkt in die Massen jener rund 40 Prozent Arbeitnehmer einreihen, die heute schon nicht wissen, wozu sie eigentlich einen ganzen Tag eine Arbeit gemacht haben, die nicht den geringsten Sinne gemacht hat und die sie voraussichtlich bis zum siebzigsten Lebensjahr werden tun müssen. Aber wir haben ja bekanntlich ein Problem mit dem Fachleutemangel, weshalb Jahr für Jahr die Schweiz um die Grösse der Stadt St. Gallen wachsen muss, weil auch der wachsende Anteil fachlich hochqualifizierter Bullshit Jobs gedeckt werden muss. Dass dieses kleine Land ein Zuwanderungsproblem hat, ist eines der Themen, die man als selbstdefinierter Progressiver lieber nicht anspricht. Der Shitstorm von links ist einem sicher.
Doch die Inquisition 3.0 hat eben erst begonnen. Was wir heute beobachten, ist ein Feldzug verschiedenster Grüppchen, die sich gerne als Bewegung einstufen, um irgendeine persönliche Befindlichkeit, die an sich unbestreitbar sein kann, zum allgemein gültigen Massstab zu machen. Oft wird dabei auf höhere Ziele verwiesen, welche dem Angriff so etwas wie axiomische Salbung verleihen. „Das macht man, sagt man, schreibt man einfach nicht.“ Der Veganismus mag hier als markante Wegmarke dienen. Nicht, dass weniger Fleisch essen eine Dummheit wäre (was die mittlerweile aus Sicht der Veganer als langweilig taxierten Vegetarier seit Generationen praktizieren), aber es ging und geht dabei nicht wirklich ums gescheite Essen, sondern um die Abgrenzung zwischen den Guten und den Bösen. Wer noch nicht vegan lebe, so die Maxime, sei kaum mehr einer modernen menschlichen Gesellschaft würdig. Und weil essen auch mit konsumieren verbunden ist, lieferten sich die Grossverteiler mit wirksamer Begleitmusik aus dem Orchester der von ihnen mit Werbegeldern subventionierten Medienhäuser einen marketingbedingten Konkurrenzkampf - um einen der beiden Veganer in der Stadt. Mit eklatanten Erfolgen. Die Umsätze des künstlichen Fleisches explodierten geradezu – von 0,1 auf 0,2 Prozent Anteil am Fleischumsatz. Wie wir als Geschädigte der Pandemiestatistiken wissen, entspricht dies einer sensationellen Verdoppelungsrate(!). Da muss doch was dran sein am Vegi-Steak.
Unstrittig ist das Aufkommen der neuerdings queer genannten Menschen mit einem gewissen Unterhaltungswert verbunden. Der Begriff wurde von den Medien deutscher Sprache ganz offensichtlich ohne Nachdenken übernommen und soll sozusagen die ganze Gemeinschaft der sexuell irgendwie orientierten umfassen, nur nicht die Heterosexuellen, die man in „Funk und Fernsehen“ mittlerweile schon fast als abartig hinstellt. Dabei bedeutet das Wort im Englischen schlicht schwul.
In einer seit gut zwanzig Jahren andauernden Gehirnwäsche wird uns, man getraut es schon fast nicht mehr zu schreiben, Normalen weisgemacht, dass in queeren Kreisen schon mal sechzehn Orientierungen dingfest gemacht worden seien. Und eigentlich das Queere das neue Normale sei. Das deutsche Alphabet kennt 26 Buchstaben; mit LGTBQIA+ ist demnach noch lange nicht das Ende des neuen Alphabetes erreicht.
Natürlich wird das bunte Treiben mit eindrücklichen Einzelporträts dokumentiert. Auf einzelnen Fernsehsendern sind kaum mehr Frauen und Männer zu sehen. Bestenfalls ehemalige oder temporäre oder im Umbau befindliche. Dass die Biologie das Männliche und das Weibliche als den natürlichen Normalfall beschreibt, interessiert scheinbar keinen Redaktor. Schon gar keinen Werber, bewirbt doch neuerdings die staatliche Postfinance ihre neuen Kunden mit den Normalen aus der L….+-Szene. Auf allen Kanälen werden uns Männerpaare vorgestellt, die „die glücklichsten Eltern“ der Welt zu sein scheinen, nachdem sie das Baby soeben in Amerika bei der Leihmutter gepostet haben (die Leihmutter-Industrie in der Ukraine ist aus einsichtigen Gründen im Moment lahmgelegt, dafür gibt es jetzt dort hunderte von Voll- oder Halb-Waisen. Bestellt und nicht abgeholt). Fragt sich nur, wer von den Beiden dem Säugling die Brust gibt. Idem die lesbischen Paare, bei denen sich zumindest eine Partnerin von einem Mann (igitt!) Sperma hat einspritzen lassen, um das nunmehr von Mamma und Mutti grossgezogene Dings in einer neuen, schönen Welt gedeihen zu lassen. Es scheint niemandem aufzufallen, dass es kein Menschenrecht auf Kinderhaben gibt (mit Betonung auf Kind haben und nicht auf Kind sein).
Wir bewegen uns auf eine Gesellschaft zu, die zu einer Freak-Show verkommt, in der Freaks Freaks grossziehen, die nicht mehr wissen, woher sie kamen und noch weniger, wohin sie gehen sollen. Praktisch ist es in diesem Fall, dass unsere Gesetzgeber das Dilemma der zukünftigen elternlosen Nicht-Waisen vorausgeplant haben. Heutzutage kann ein Jugendlicher zu seiner Einwohnerkontrolle gehen und das dort allenfalls gespeicherte Geschlecht streichen oder ändern, wie es beliebt. Oder sich gar keines mehr geben: Andere. Nach Beobachtungen sollen vor allem Mädchen davon Gebrauch machen, weil sie sich als Junge mehr Chancen im Berufsleben und auch sonst ausrechnen. Das ist folgerichtig, denn der Narzissmus und der Egoismus ihrer Einbahn-Eltern findet so seinen Anschluss in einem geschlechtlich nach Bedarf verfügbaren Wesen. War da nicht mal was mit Gleichstellung und so?
Freilich gehen die meisten Leihmutterschaften vorläufig noch immer auf das Konto von heterosexuellen Paaren. Macht das die Sache erträglicher? Natürlich nicht, denn der Vorgang ist derselbe: ein exzessiver Egoismus einer übersättigten Gesellschaft, die sich durch ihre Konsumsucht und die daraus folgende Umweltverschmutzung zunehmend unfruchtbar macht, sucht nach Auswegen aus der Wohlstandsfalle. Indem in der Regel mausarme Frauen im Osten und in den USA als Legehühner ausgenutzt werden. Vermutlich werden wir in ein paar Jahren eigentliche Masseninseminations- und Mutterschaftsfabriken haben. Wie weit ist noch bis Lebensborn 2.0? Und die Medien? Von einer Branche, die von den beschriebenen Erscheinungen selber - vermutlich – überdurchschnittlich betroffen ist, kann kaum Vernünftiges erwartet werden.