Gedanken zur Zeit I
Von kranken Kassen in einem kranken System
Es ist Herbst. Zeit für Placebos jeder Art, aber ganz besonders, wenn es um das kränkste Gesundheitssystem Europas geht. Das schweizerische Gesundheitswesen, das uns jedes Jahr von Dreifuss bis Berset zwischen 5 und 10 Prozent ärmer macht und nervlich zunehmend belastet. Wenn allerdings der Herbst nicht nur durch die vom Innenminister geradezu feierlich angekündigte neuerliche Abzocke durch die kranken Kassen versaut wird, sondern auch noch durch die Parlamentswahlen, ist es bis zur politischen Hypochondrie nicht mehr weit. Landauf, landab laufen die Kandidaten derzeit durch alle Kanäle, Klickmedien und Zeitungsspalten und tun das, was sie schon immer am besten konnten: wortreich nichts sagen. Oder vielmehr tun sie so, als ob jeder für sich das Heilmittel gegen eine Krankheit besässe, die man selber verursacht hat. Wohl wissend, dass das eigene Rezept für sich allein keine Aussicht auf Erfolg hat. Der übliche Dialog zwischen Tauben und Stummen.
Und natürlich ist der Kranke an allem schuld, das heisst: wir alle, diese tumb-dämlichen Prämienzahler, die für die monatlichen zehn bis fünfzehn Lohnprozent, welche für das Gesundheitssystem abgedrückt werden, auch noch Heilung und Pflege erwarten. Und noch natürlicher all jene Idioten, die längst schon die Prämien nicht mehr selber zahlen können, sondern durch die staatlich organisierte Prämienverbilligung vom Abserbeln vor dem Spital bewahrt werden wollen. Womit der zerknitterte und entwürdigte Lohnempfänger und Prämienzahler gleich zweimal geschröpft wird: in der Lohntüte und mit der Steuerrechnung.
Derweil wird in den Teppichetagen der Kassen und Kässeli der Champagner aufgefahren, die Therapieindustrie jubelt, die Spitalzulieferer füllen die Auftragsbücher, die Pharmaindustrie wirft sich ein paar Euphorika ein, die Baulobby verteilt Gratisbier an die Auftraggeber in den kantonalen Gesundheitsdirektionen und das medizinische Spitzenpersonal bucht die Malediven und bestellt den neuen Tesla - und alle zusammen begiessen das Gesundheitspersonal und die Prämienzahler mit Hohn und Spott. Selber schuld.
Wer sich die derzeit herum gebotenen Rezepte für die Gesundung des im Innersten kranken Gesundheitssystem anschaut, kommt nicht umhin festzustellen: für die Politiker jeder Couleur ist der Kranke das Problem, mit Sicherheit nicht die Krankheit. Vom Prämiendeckel (10 Prozent vom Lohn), zur Abschaffung der Kopfprämie oder zur einkommensabhängige Prämie bis hinüber zur Einheitskasse steht immer nur der Prämienzahler im Fokus. Nie, aber gar nie die Verursacher des bösartig wuchernden Gesundheitgeschwürs.
Zwei Beispiele (ich höre die Systemverteidiger schon rülpsen: gar keine relevanten Beispiele): Seit der Einführung des Krankenkassen-Obligatoriums wächst die Fitness-Industrie ins Astronomische. Grund? Jeder Hausarzt kann gegen jedes nur erdenkliche Wehwehchen ein dreimonatiges Turnprogramm in einem – zertifizierten (was heisst das?) - Fitnessclub verordnen. Verlängerbar versteht sich. Seither hüpfen abertausende fröhliche Sixpacker in längst zu Dating-Clubs umgewandelten Turnbetrieben herum, dass es eine Freude für jeden Inhaber ist, der schicklicherweise unter seinen Angestellten jemanden mit Erfahrung in Chiropraktik hat.
Wer gratis etwas für seine Gesundheit tun möchte, kann sich auch zu Fuss durch die Stadt bewegen. Ein Spaziergang von zwei, drei Kilometern pro Tag wirkt schon so viel wie das Gehopse im Club, wo man selbstredend mit dem Auto hinfährt. Auf besagtem Spaziergang fällt einem mit Sicherheit auf, dass die Fassaden vieler Gebäude durch Hinweisschilder geradezu zugepflastert sind. Es wimmelt darin nur so von Therapieangeboten, von denen Normalsterbliche noch nie etwas gehört haben, geschweige denn sich eine dazu gehörende Krankheit vorstellen könnten. Der Katalog der „Leistungserbringer“ scheint nach oben offen zu sein. Jeder Heiler, der nach Überzeugung des zuweisenden Hausarztes irgendetwas zur Gesundung seines Patienten beitragen kann, wird von der Krankenkasse bezahlt.
Privatpilot und Sozialdemokrat A.B. hat unlängst - rein zufällig eine Woche vor Ankündigung eines neuerlichen zehnprozentigen Prämiensprunges - mit dem Mut eines abtretenden Regierungsmitgliedes Einsparungen bei den Medikamenten angedroht (denn umgesetzt ist der Mutausbruch noch lange nicht). Angeblich sollen jährlich 250 Millionen durch die bessere Nutzung von Generika eingespart werden. Das entspräche in etwa den aktuellen Werbe-, Akquise- und Sponsoring-Ausgaben der von den Medien geschonten, von zwielichtigen Agenten umworbenen und bei Schwingfesten, Fussballclubs, Radrennen oder Volksläufen gleichermassen bejubelten Kassen und Kässeli.
Natürlich ist es der Politikerkaste unangenehm, wenn man ihr vorhält, dass ihr gehätscheltes Kind eine Fehlgeburt ist, insbesondere weil politische Inzucht die Ursache ist. Das würde so manchem Verwaltungs-, Bei- oder von mir aus Geheimrat Hyperventilation bescheren. Im Gesundheitsunwesen haben es in den letzten vierzig Jahren in Bern und in den kantonalen Hauptorten buchstäblich alle mit allen getrieben. Und alle haben dabei ein gutes Geschäft gemacht. Sie wurden stets wiedergewählt.
Auf der Strecke blieben und bleiben das Pflegepersonal, die Patienten beziehungsweise Prämienzahler. Die ganze Verlogenheit des Systems wurde zu Zeiten der angeblichen Pandemie deutlich. Wegen verschobener Operationen (was sich übrigens schon zu Beginn der pandemischen Hysterie als unsinnig herausgestellt hatte), fuhren die Spitäler Verluste ein. Katastrophe! Mit anderen Worten: wenn wir weniger am Patienten herumschnippeln dürfen, schreiben wir rote Zahlen. Die dann der Steuerzahler bitteschön auszugleichen hat. Derselbe Steuerzahler, der schon die Prämien für die aktuell wohl über 2,5 Millionen Menschen in der Schweiz, welche die Krankenkasse nicht mehr selber bezahlen können, berappen muss. Was ist das für ein System, das nur funktioniert, wenn möglichst viele Menschen krank sind und/oder operiert werden? Wäre nicht gerade das Gegenteil erstrebenswert? Die neoliberale Logik sieht eben anders aus. Denn, wo privatisiert wird, muss auch Umsatz gebolzt werden. Denn neoliberaler Ultrakapitalismus heisst: private Gewinnmaximierung und kollektive Verlustdeckung. Ob es sich dabei um kranke Menschen handelt, oder um Swisscom-Kunden, oder Bahn-, Bus- oder Trampassagiere, oder Strom- und Wasserverbraucher spielt keine Rolle.
Nachdem nun – Wahlen hin oder her – auch vor dem Dümmsten nicht mehr verheimlicht werden kann, dass das Gesundheitssystem Schweiz von der angeblich so effizienten und hoch gelobten Konkordanz an die Wand gefahren wurde, ist es an der Zeit, Gesundheitsversorgung neu zu denken. Einsicht wäre dafür der erste Baustein. Aber da meldet sich der Realist und diagnostiziert: unheilbar.
Das beste Beispiel für keinen Besserungswillen bieten die kranken Kassen gleich selber. Noch nie wurde soviel Geld in obszöne Werbung gepumpt wie in diesen Monaten. Dabei geht es natürlich nicht um unsere Gesundheit, sondern um die Sicherung der eigenen Pfründe im Kassen- und Kässeliwesen. Das tumbe Publikum soll jetzt schon präventiv dahin therapiert werden, dass eine unweigerlich neue Abstimmung über die Einführung einer staatlichen Einheitskasse mit Sicherheit hochkant verworfen werden wird. Und neun Millionen Idioten bezahlen selbst – und als Steuerzahler auch noch für andere - jetzt schon das Werbebudget mit ihren Prämien. Womit auch gleich das seltsame Gebaren der allermeisten Medien erklärt werden kann. Wer an den Millionen der kranken Kassen gesunden will, tut sich durch kritisches Hinterfragen und saubere Recherche keinen Gefallen. Schon gar nicht, wenn man das zwingend notwendige Verbot von Werbung, Akquise und Sponsoring unterstützte. Aber das haben wir ja schon während drei Jahren pandemistischer Hysterie eingeübt.
Olten, im kranken Herbst 2023/SF
Als Knirps in kurzen Hosen und Kniestrümpfen begleitete ich, noch bevor ich in den Kindergarten kam, oft und gerne meine Mutter beim Einkaufen. Man ging zweimal die Woche zum Bäcker, einmal, meistens am Freitag, zum Metzger und immer mal wieder in meinen Traumladen, indem fremde Gerüche waberten und seltsame Dinge zum Verkauf angeboten wurden. Manchmal gab es Bananen und im Herbst Mandarinen und Orangen, getrocknete Feigen; an Datteln erinnere ich mich, auf deren Verpackung unter Palmen Kamele lagerten. Pralle Säcke auf niederen Gestellen entlang der einen Wand neben Reis und natürlich Mehl und Zucker. Auf den Regalen hinter dem Ladentisch Keramikbehälter, auf denen wunderliche Worte standen wie Kakao, Vanillezucker, Pfeffer schwarz und weiss, Nelken, Zimt und so weiter. Unter der Glasplatte des Ladentisches verwirrten jedes Mal Messer, Kettchen, Amulette und allerlei Glänzendes den staunenden Dreikäsehoch, dessen Nase gerade bis zur Auslage unter der Glasplatte reichte. Aber mein absoluter Favorit war der auf der rechten Seite des Ladentisches auf einem Sockel kniende Neger, den man mittels eines in den dafür vorgesehenen Schlitz fallen gelassenen Batzens zum dankenden Nicken brachte. Und manchmal, meist am Ende des Monats, wenn Vater den Zahltag nach Hauses gebracht hatte, durfte ich mit einem Batzen den kleinen Neger zum Nicken bringen. Ich hätte am liebsten gleich reihenweise Batzen eingeworfen, nur um das Negerbuebli nicken zu sehen.
Das nickende Negerlein, das für irgendein Missionswerk Batzen für Batzen sammelte, gibt es nicht mehr (für überlebende Exemplare dieser Zeugnisse einer bigotten Mission und einer ausbeuterischen Kolonialwirtschaft werden heutzutage in Antiquitätenläden Spitzenpreise bezahlt), ebenso wenig die Kolonialwarenhandlung, in der der Knirps von damals dem Negerlein auf Augenhöhe begegnete. Die Unschuld der Fünfzigerjahre, in denen für Sensibilitäten wenig Raum war - man hatte wieder aufzubauen oder, vor allem in der Schweiz, an diesem Aufbau zu verdienen – wurde ein knappes Jahrzehnt vom Aufbruch der Sechzigerjahre und von einer Art neuer Aufklärung, wenigstens oberflächlich und von kurzer Dauer, weggefegt. Die Geschichte ist bekannt.
Heute?
Das Wort Neger allein ist zwar nicht gesetzlich verboten, aber umso wirkungsvoller von den weltweit durch das Netz wabernden Vereinten Nationen der Onliner (UNO) auf den Index der Unaussprechbaren gesetzt worden. Nicht, dass man sich per absolutistischem Urteil der Fakebook-Gemeinde damit zufrieden gäbe, dass dieses furchtbare Wort fürderhin einfach nicht mehr verwendet werden darf. Die Sache muss an der Wurzel gepackt werden, also in der Vergangenheit. Seither werden Haus-Fassaden von Mohrenköpfen gesäubert, selbstredend werden – von katholisch inspirierten Fasnachts-Cliquen – „Negerbälle“ abgesagt, sogar Schlager verstorbener Sänger umgedichtet. Und Othello bis auf Weiteres nicht mehr gespielt, es sei denn, man engagiere einen Originalschwarzen für die Rolle des Generals. Neuerdings – die Krönung des aufgeweckten Zeitgeistes – bringt Carmen Don José um. Wie könnte es also anders sein, man muss sich der verdorbenen Literatur annehmen. Jetzt werden Bücher umgeschrieben und Manuskripte, welche das Wort Neger enthalten, werden schon gar nicht zum Buch (was dem hier Schreibenden widerfahren ist). Unbesehen vom jeweils beschriebenen gesellschaftlich-historischen Kontext wird alles, was Neger und Nigger (idem in anderen Sprachen) enthält kurzum umgedichtet. Die Erben Agatha Christies haben sich freiwillig zum Umschrieb des ursprünglichen Theaterstückesihrer Erblasserin mit dem Titel Zehn kleine Negerlein entschlossen. Wir wollen nicht fragen, was William Faulkner davon hielte oder Hemingway oder James Baldwin dazu zu sagen hätten. Oder Aimé Césaire oder Léopold Sédar Senghor oder Youssou N‘Dour, ganz zu schweigen von Johnny Clegg, dem einzigen weissen Schwarzen Südafrikas. Es gab eine Zeit, in der die Bücher der als nicht konform eingestuften Dichter verbrannt worden sind. Jetzt werden ihre Bücher umgeschrieben. Literatur wird in das zeitgeistige Moralin getüncht. Falsch: in ihm ertränkt. Schon sind in Verlagshäusern Spürhunde am Werk, sensitivity reader, um die hauseigenen Publikationen nach nichtkonformen Worten und Textstellen zu untersuchen. Neue Manuskripte werden sowieso einer diesbezüglichen Eignungsprüfung unterzogen, entweder angepasst oder verworfen. Der Autor, im Weigerungsfall, auf den Index gesetzt. Die neue entartete Kunst lugt um die Ecke. Waren wir nicht schon mal da? Das öffentliche Verbrennen wäre ehrlicher. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die hinter Fakebook, Twitter und anderen Plattformen des digitalen Standgerichts versteckenden Scharfrichter hervorwagen und zur Tat schreiten. Mit Sicherheit unter dem Beifall einer orientierungslosen, allein dem Klick-Ergebnis unterworfenen Journaille, deren Mitglieder entweder der Gameboy- oder (noch schlimmer) der Instagram-Generation angehören, also ein Buch bestenfalls als Briefbeschwerer kennen und Geschichte als Netflix-Serie. Jedenfalls könnten diese neuen Zensoren locker zur sechsten Art von David Graebers Bullshit Jobs werden. Sie würden sich unbemerkt in die Massen jener rund 40 Prozent Arbeitnehmer einreihen, die heute schon nicht wissen, wozu sie eigentlich einen ganzen Tag eine Arbeit gemacht haben, die nicht den geringsten Sinne gemacht hat und die sie voraussichtlich bis zum siebzigsten Lebensjahr werden tun müssen. Aber wir haben ja bekanntlich ein Problem mit dem Fachleutemangel, weshalb Jahr für Jahr die Schweiz um die Grösse der Stadt St. Gallen wachsen muss, weil auch der wachsende Anteil fachlich hochqualifizierter Bullshit Jobs gedeckt werden muss. Dass dieses kleine Land ein Zuwanderungsproblem hat, ist eines der Themen, die man als selbstdefinierter Progressiver lieber nicht anspricht. Der Shitstorm von links ist einem sicher.
Doch die Inquisition 3.0 hat eben erst begonnen. Was wir heute beobachten, ist ein Feldzug verschiedenster Grüppchen, die sich gerne als Bewegung einstufen, um irgendeine persönliche Befindlichkeit, die an sich unbestreitbar sein kann, zum allgemein gültigen Massstab zu machen. Oft wird dabei auf höhere Ziele verwiesen, welche dem Angriff so etwas wie axiomische Salbung verleihen. „Das macht man, sagt man, schreibt man einfach nicht.“ Der Veganismus mag hier als markante Wegmarke dienen. Nicht, dass weniger Fleisch essen eine Dummheit wäre (was die mittlerweile aus Sicht der Veganer als langweilig taxierten Vegetarier seit Generationen praktizieren), aber es ging und geht dabei nicht wirklich ums gescheite Essen, sondern um die Abgrenzung zwischen den Guten und den Bösen. Wer noch nicht vegan lebe, so die Maxime, sei kaum mehr einer modernen menschlichen Gesellschaft würdig. Und weil essen auch mit konsumieren verbunden ist, lieferten sich die Grossverteiler mit wirksamer Begleitmusik aus dem Orchester der von ihnen mit Werbegeldern subventionierten Medienhäuser einen marketingbedingten Konkurrenzkampf - um einen der beiden Veganer in der Stadt. Mit eklatanten Erfolgen. Die Umsätze des künstlichen Fleisches explodierten geradezu – von 0,1 auf 0,2 Prozent Anteil am Fleischumsatz. Wir wir als Geschädigte der Pandemiestatistiken wissen, entspricht dies einer sensationellen Verdoppelungsrate(!). Da muss doch was dran sein am Vegi-Steak.
Unstrittig ist das Aufkommen der neuerdings queer genannten Menschen mit einem gewissen Unterhaltungswert verbunden. Der Begriff wurde von den Medien deutscher Sprache ganz offensichtlich ohne Nachdenken übernommen und soll sozusagen die ganze Gemeinschaft der sexuell irgendwie orientierten umfassen, nur nicht die Heterosexuellen, die man in „Funk und Fernsehen“ mittlerweile schon fast als abartig hinstellt. Dabei bedeutet das Wort im Englischen schlicht schwul.
In einer seit gut zwanzig Jahren andauernden Gehirnwäsche wird uns, man getraut es schon fast nicht mehr zu schreiben, Normalen weisgemacht, dass in queeren Kreisen schon mal sechzehn Orientierungen dingfest gemacht worden seien. Und eigentlich das Queere das neue Normale sei. Das deutsche Alphabet kennt 26 Buchstaben; mit LGTBQIA+ ist demnach noch lange nicht das Ende des neuen Alphabetes erreicht.
Natürlich wird das bunte Treiben mit eindrücklichen Einzelporträts dokumentiert. Auf einzelnen Fernsehsendern sind kaum mehr Frauen und Männer zu sehen. Bestenfalls ehemalige oder temporäre oder im Umbau befindliche. Dass die Biologie das Männliche und das Weibliche als den natürlichen Normalfall beschreibt, interessiert scheinbar keinen Redaktor. Schon gar keinen Werber, bewirbt doch neuerdings die staatliche Postfinance ihre neuen Kunden mit den Normalen aus der L….+-Szene. Auf allen Kanälen werden uns Männerpaare vorgestellt, die „die glücklichsten Eltern“ der Welt zu sein scheinen, nachdem sie das Baby soeben in Amerika bei der Leihmutter gepostet haben (die Leihmutter-Industrie in der Ukraine ist aus einsichtigen Gründen im Moment lahmgelegt, dafür gibt es jetzt dort hunderte von Voll- oder Halb-Waisen. Bestellt und nicht abgeholt). Fragt sich nur, wer von den Beiden dem Säugling die Brust gibt. Idem die lesbischen Paare, bei denen sich zumindest eine Partnerin von einem Mann (igitt!) Sperma hat einspritzen lassen, um das nunmehr von Mamma und Mutti grossgezogene Dings in einer neuen, schönen Welt gedeihen zu lassen. Es scheint niemandem aufzufallen, dass es kein Menschenrecht auf Kinderhaben gibt (mit Betonung auf Kind haben und nicht auf Kind sein).
Wir bewegen uns auf eine Gesellschaft zu, die zu einer Freak-Show verkommt, in der Freaks Freaks grossziehen, die nicht mehr wissen, woher sie kamen und noch weniger, wohin sie gehen sollen. Praktisch ist es in diesem Fall, dass unsere Gesetzgeber das Dilemma der zukünftigen elternlosen Nicht-Waisen vorausgeplant haben. Heutzutage kann ein Jugendlicher zu seiner Einwohnerkontrolle gehen und das dort allenfalls gespeicherte Geschlecht streichen oder ändern, wie es beliebt. Oder sich gar keines mehr geben: Andere. Nach Beobachtungen sollen vor allem Mädchen davon Gebrauch machen, weil sie sich als Junge mehr Chancen im Berufsleben und auch sonst ausrechnen. Das ist folgerichtig, denn der Narzissmus und der Egoismus ihrer Einbahn-Eltern findet so seinen Anschluss in einem geschlechtlich nach Bedarf verfügbaren Wesen. War da nicht mal was mit Gleichstellung und so?
Freilich gehen die meisten Leihmutterschaften vorläufig noch immer auf das Konto von heterosexuellen Paaren. Macht das die Sache erträglicher? Natürlich nicht, denn der Vorgang ist derselbe: ein exzessiver Egoismus einer übersättigten Gesellschaft, die sich durch ihre Konsumsucht und die daraus folgende Umweltverschmutzung zunehmend unfruchtbar macht, sucht nach Auswegen aus der Wohlstandsfalle. Indem in der Regel mausarme Frauen im Osten und in den USA als Legehühner ausgenutzt werden. Vermutlich werden wir in ein paar Jahren eigentliche Masseninseminations- und Mutterschaftsfabriken haben. Wie weit ist noch bis Lebensborn 2.0? Und die Medien? Von einer Branche, die von den beschriebenen Erscheinungen selber - vermutlich – überdurchschnittlich betroffen ist, kann kaum Vernünftiges erwartet werden.
Man begnügt sich damit, jene, die aus unterschiedlichen Beweggründen, welche die angezeigten Entwicklungen nicht gut finden, als rückständig, konservativ, ja als aus der Zeit Gefallen aus dem Spiel zu nehmen. Diffamierungen sind klebrig, bleiben lange haften, insbesondere wenn sie offen oder unterschwellig mit rechtsextrem, evangelikal oder ähnlichem in Verbindung gebracht werden.
Dabei wäre es die Aufgabe von Medien zur Aufklärung beizutragen. Entwicklungen konsequent bis zum Ende durchzudenken und der Leserschaft zur eigenen Reflexion vorzulegen. Das wird freilich nicht nur im Falle der Leihmutterindustrie nicht getan. Die Betäubung der der Verblödung anheimgestellten Massen durch Unterhaltung geht vor. Recherchierte Information wird in den gerade noch verbliebenen Raum zwischen zwei Werbebannern gedrängt. Ablenken von diesen und anderen – wohl doch bedeutenderen - Fragen das Gebot der Stunde. Es ist nicht mehr weit. Bald werden wir uns zu Tode amüsiert haben. Neil Postman lässt grüssen. Und Huxley würde lakonisch feststellen: Es ist soweit: Sie haben das Soma bekommen.
Am Ende macht das alles Sinn: Die Abhängigkeit von der Konsumsucht, welche ihre Metastasen längst schon in die intimsten Bereiche des neuzeitlichen Menschen ausgebreitet hat (Datenkommerz über Handy- und Internetnutzung als Beispiel), die Unterhaltungsmaschine, die Umwandlung der Sprache in ein pseudo-egalitäres Kauderwelsch, die Zersplitterung der Gesellschaft in Identitäten, die jede für sich Dominanz einfordern und damit der Kotau der jeweils nicht betroffen 95 Prozent der „Anderen“, die sich in vorauseilendem Gehorsam bei den jeweils dominierenden 5 und oft auch noch weit weniger Prozent für ihr Normalsein entschuldigen. Konsum macht gefügig. Die westliche Gesellschaft der Nordhemisphäre ist zu einer Gesellschaft geworden, „die durchdrungen ist vom Wunsch, nichts mehr zu sein, um niemanden zu verletzen“. (Alain Finkielkraut)
Das gilt auch und ganz besonders für die Rassismusdebatte, die man, wie eingangs erwähnt, vornehmlich auf der Sprach- und Symbolebene abwickelt. Das entbindet das Individuum wie auch die Medien von der Pflicht, die Gegenwart mit der Vergangenheit abzugleichen. Zu überprüfen, ob sich zwischen den Sklavengeschäften der ehemaligen Noblen, deren in heutige Währung umgerechnete Milliarden heutzutage, teilweise in Philanthropie konvertiert, die Ausbeutung des afrikanischen Kontinents mit dem Zuckerguss des guten Gewissens versüssen. Und die dämliche Neger-Debatte lenkt auch davon ab, dass der Rassismus beileibe nicht von den Kolonialmächten erfunden wurde, was an der Verwerflichkeit der seit fünf Jahrhunderten andauernden Verbrechen nichts ändert. Wer jemals etwas länger als vierzehn Tage am Strand von Malindi verbracht und mit dem realen Afrika zu tun hatte, wird ernüchtert feststellen müssen, dass es kaum brutaleren, blutrünstigeren Rassismus ausserhalb des schwarzen Kontinents gibt. Und zwar nicht, weil Weisse die Schwarzen unterdrücken, misshandeln, massakrieren, verschleppen, versklaven. Sondern die Schwarzen ihre schwarzen Brüder und Schwestern. Man hätte so auch einen der Gründe herausgearbeitet, weshalb der schwarze Kontinent niemals aus dem Schlamassel herauskommen wird und weshalb so viele Afrikaner lieber ihr Leben auf der Fahrt über das Mare nostrum riskieren, als in ihrer Heimat zu verhungern oder ermordet zu werden. Was dann in Europa dazu führt, dass die immer zahlreicher Ankommenden Fremde bleiben und zum Unwohlsein der Wohlgesinnten beitragen, was früher oder später den möglicherweise bereits in der menschlichen Natur angelegten Rassismus zu Tage fördert. Aber heutzutage regt man sich hierzulande, von den Medien in perverser, aber systemimmanenter Übertreibung aufgeblasen, lieber darüber auf, wenn sich in einem Quartierspunten ein paar Wohlstandsbubis- und -Modis wegen den Dreadlocks von ein paar Musikern unwohl fühlen und deshalb den Konzertabbruch der weissen (igitt zum Zweiten) Reggae-Band erwirken. Soweit sind wir.
Aber das ist ja nur ein lächerliches Detail. Solange man es als isoliertes Nicht-Ereignis betrachtet. Schwerwiegender wird es allerdings, wenn die Teile zu einem Mosaik zusammengefügt werden. Liest man sich durch die sogenannten Leitmedien - gedruckt oder deren Online-Ausgaben - und schaut und hört sich durch öffentlich-rechtliches Fernsehen und Radio an, so muss der nicht vor dem Jahr 2000 Geborene zum Schluss kommen, dass Veganismus ebenso das Normale sei wie ein Mitglied der L...A+-Bewegung sein zu müssen. Und selbstredend liest, schaut und hört man das in einer durch Doppelpunkte, Sternchen und Bindestriche massakrierten Gendersprache, die darüberhinaus noch von jedem nur schon dem Anschein nach diskriminierenden Ausdruck gesäubert ist. Und – Freude herrscht! - wir dürfen jetzt wieder guten Gewissens Filme aus Hollywood anschauen und so den American Way to Hell ungeschmälert geniessen. Denn, um überhaupt in die Oscar-Auswahl als „bester Film“ zu kommen, müssen diese Filme mindestens zwei der drei folgenden Forderungen erfüllen: Der Darsteller einer Hauptrolle oder einer wichtigen Nebenrolle muss einer „rassischen“ oder ethnischen Minderheit angehören; mindestens 30 Prozent der Nebendarsteller müssen aus zwei unterrepräsentierten Gruppen stammen, wie „Schwarzen, Latinos, Frauen, Personen, die sich selbst als LGBTQIA+ identifizieren oder Behinderten“; die Haupthandlung, das Thema oder das Narrativ muss auf eine Minderheitengruppe ausgerichtet sein. Wenn man sich des kommerziellen Wertes nur schon einer Nomination bewusst ist, kann man sich leicht vorstellen, was das Wort Mainstream für die gesamten Film- und bald sicher auch für die TV-Produktionen heisst.
So sieht Gehirnwäsche aus. Vergleicht man damit die gequälten Krimi-Szenarios deutschsprachiger Produktionen mit ihren lächerlich gegenderten Kommissar-Duos, befinden wir uns in Europa geradezu in einem kreativen Abenteuerspielplatz. Wohl nicht mehr lange.
Wir in der nördlich-westlichen Welt bewegen uns immer schneller auf eine in Korrektheit und Wachsamkeit gegen Abweichler erstarrende Gesellschaft zu. Vermutlich sind wir bereits dort angelangt. Ein vegane, queere, öko-hedonistische Gesellschaft, in der Wortmeldungen von Mitgliedern der 95prozentigen Minderheit nicht mehr erwünscht sind. Nicht mehr in Büchern, nicht mehr in Filmen, nicht in Zeitungen schon gar nicht vor der permanenten Online-Inquisition. Man hat sich in einer neuen Behaglichkeit einzurichten, in der jede menschliche Regung sich gefälligst an die weder durch demokratische Prozesse, noch durch eine gesellschaftlich repräsentative Ausmarchung definierte neue Ordnung zu halten hat. Deklamiert in der neutralisierten Sprache, die zwar niemand mehr lesen kann, weil sie zum Kotzen ist, aber alle wissen, was gemeint ist.
Diese neue Behaglichkeit gemahnt verdächtig an jene Zeiten, in denen man zwecks Unterstreichung seiner dank Arbeit und Anpassung erreichten neuen Standards, vom Nachfolgenden gut sichtbar, ein Kissen in die Rückscheibe des dank Abzahlungsvertrag erstandenen Opel Rekords rückte, sorgsam umhäkelt und dekoriert mit dem Kantonswappen und der Autonummer – und natürlich mit dem Schweizer Wappen. Willkommen im Mief 2.0 der opportunistischen Behaglichkeit, der korrekten Rechtschaffenen, Richtigsprechenden, Rechthabenden und Wachsamen.
Olten, September 2023/SF